Das Projekt in den Medien
RTS — «La prise en charge des victimes de violences sexuelles reste insuffisante en Suisse» (20.02.2024)
NZZ — «Bald tritt das neue Sexualstrafrecht in Kraft – doch bei der Opferbetreuung und der Spurensicherung hapert es» (08.06.2024)
Watson — «Am 1. Juli gilt das neue Sexualstrafrecht – doch einige Kantone sind schlecht vorbereitet» (24.06.2024)
Blick — «Lücken bei Umsetzung von «Nein heisst Nein»» (24.06.2024)
Swissinfo — «Einige Kantone sind schlecht auf neues Sexualstrafrecht vorbereitet» (24.06.2024)
Tagesanzeiger — «Männer können jetzt auch rechtlich Opfer von Vergewaltigung werden» (30.06.3024)
Baslerzeitung — «Neues Sexualstrafrecht: Ab dem 1. Juli gilt «Nein heisst Nein»» (30.06.3024)
Sonntagsblick — «Neues Sexualstrafrecht tritt in Kraft. Zürich ist gut vorbereitet, Aargau weniger» (01.07.2024)
Radio Bern RaBe – «Nein heisst Nein» (03.07.2024)
Watson – «Neues Sexualstrafrecht seit Juli: Kleinere Kantone sind schlecht vorbereitet» (24.07.2024)
SRF Tagesgespräch — «Rahel Schmidt: Neues Sexualstrafrecht» (01.10.2024)
Ziel des Projekts
Vergewaltigungen sind auch in der Schweiz ein massives Problem – die Rede ist von rund 400’000 potentiell Betroffenen. Leider ist die Betreuung von Opfer sexualisierter Gewalt in der Schweiz derart mangelhaft, dass viele Opfer mangels adäquater Betreuung und wegen gesellschaftlicher Tabuisierung gar nicht erst den Rechtsweg einschlagen und Täter*innen so nicht zur Rechenschaft gezogen werden.
Mit unserem Projekt wollen wir mit diversen Expert*innen aller involvierten Fachbereichen zusammenarbeiten, um eine opferzentrierte und wissenschaftlich begleitete Betreuung als politische Stossrichtung auszuarbeiten.
Übersicht zu den Massnahmen in den Kantonen
Mit dem Protokoll «KONZIL / COINVITAL» schlagen wir im Whitepaper «Opfer sexualisierter Gewalt im Fokus» eine holistische Begleitung für deren besseren Betreuung vor. Wir haben Entscheidungsträger*innen aus den kantonalen Verwaltungen, sowie in diesem Bereich tätige Nichtregierungsorganisationen und Fachvereine auf die Ergebnisse und Empfehlungen unserer Arbeit aufmerksam gemacht und sie um eine Stellungnahme gebeten. Das Ziel unserer Fragen war es, die aktuell geplanten und umgesetzten Massnahmen (Stand Frühjahr 2024), sowie die Herausforderungen insbesondere in Bezug auf Zusammenarbeit und Qualitätssicherung zu erfassen. Im Folgenden fassen wir die gesammelten Reaktionen zusammen und liefern als transdisziplinäres Team von Expert*innen eine konzise Einschätzung zum schweizweiten Status Quo. Die Kurzzusammenfassung der einzelnen Rückmeldungen finden sich in den Onepagern. Die Anfrage an die Kantone findet sich im Fragenkatalog.
Disclaimer zu den erhobenen und hier veröffentlichten Daten: Wir haben allen kantonalen Verwaltungen sowie weiteren Stakeholdern der Zivil- und Fachgesellschaften Ende Januar 2024 unser Whitepaper zugestellt mit der Bitte um Stellungnahme schriftlich oder telefonisch bis Mitte März. Diese erste E-Mail wurde je nach Kanton respektive Organisation an die für uns ersichtlich zuständige Adresse geschickt mit der Bitte, diese weiterzuleiten, sollte eine andere Behörde/Person zuständig sein. Wo wir keine Antwort erhielten, haben wir mehrmals nachgefragt. Wo die Antwort knapp ausfiel, haben wir diese bestätigt mit dem Hinweis, dass dies so vermerkt wird. Die nachfolgend veröffentlichten Daten sind eine Zusammenfassung der erhaltenen Stellungnahmen, die Darstellung hat somit keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Einschätzung zu den Rückmeldungen
Kantonale Verwaltungen: Unterschiede beim Stand der Vorbereitung auf die nationalen Massnahmen
Insgesamt haben 22 kantonale Verwaltungen auf unsere E-Mail-Anfrage reagiert. Die Ausführlichkeit und Präzision dieser Reaktionen variiert jedoch zwischen den Kantonen stark. Sieben Deutschschweizer Kantone (BL, BS, GL, SG, SH, SO, TG) verweisen auf die konsolidierte Antwort der Schweizerischen Konferenz gegen Häusliche Gewalt (SKHG), ein Zusammenschluss der kantonalen Interventions- und Koordinationsstellen zur Verhütung und Bekämpfung häuslicher Gewalt, und insbesondere ihr Bericht “Aktions- und Massnahmenpläne sowie Massnahmenpakete gegen Gewalt an Frauen und häusliche Gewalt in Kantonen und grossen Städten” (Mai 2023). Die beiden Themen häusliche Gewalt und sexualisierte Gewalt überschneiden sich zwar teilweise, aber sind nicht identisch. Massnahmen gegen das eine sind nicht automatisch auch Massnahmen gegen das andere. Eine konzeptuelle Überlappung, welche in manchen Antworten der Kantone festgestellt wurde. Der SKHG-Bericht wird dieser Differenzierung gerecht, indem Massnahmen gegen sexualisierte Gewalt unter dem Addendum sexuelle Gewalt spezifisch adressiert werden (S. 55 ff.). Der Bericht bietet eine stichwortartige Übersicht zu bestehenden, bereits geplanten und noch abzuklärenden Massnahmen pro Kanton und soll laut SKHG im Laufe dieses Jahres aktualisiert werden. Die in der Tabelle erwähnten Handlungsfelder entspringen dem Addendum “sexuelle Gewalt” der Roadmap gegen häusliche Gewalt von Bund und Kantonen vom Mai 2023, und decken sich grösstenteils mit den Zielen unseres KONZIL Protokolls. Die Kantone AI, AR, JU, LU, OW, UR, VD, VS und ZH haben Antworten geliefert, die im SKHG-Bericht noch nicht erwähnt wurden. Eine Zusammenfassung sämtlicher Antworten ist in Tabelle 1 ersichtlich. Aus der Übersicht der SKHG und den weiter ausführenden Antworten der Kantone lässt sich erfreulicherweise festhalten, dass sich in der kantonalen Politik etwas zu tun scheint – nur nicht überall im gleichen Ausmass und Tempo. Insbesondere die Kantone BE, JU, UR, VD und VS haben bereits progressive Systeme oder sind dabei, neue Massnahmen abzuklären oder einzuführen. Andere Kantone – wie zum Beispiel AR, GL und OW – scheinen noch keine fortgeschrittenen Initiativen zu haben. Unter dem Strich scheinen die Kantone in der Romandie besser aufgestellt zu sein bzw. schon weiter mit den ergriffenen Massnahmen als die Deutschschweiz. In der italienischen Schweiz hat die jetzige Betreuungslage Verbesserungspotenzial, es sind aber einige Initiativen geplant und bereits in Umsetzung. In unserem Whitepaper schlagen wir zwei Szenarien vor, adaptiert an die geografischen Gegebenheiten. Das Protokoll “KONZIL/COINVITAL” lässt sich bestens auf die Szenarien “Stadt” und “Peripherie” anpassen. Auf diese möglicherweise unterschiedlichen Anforderungen wurde jedoch von den kantonalen Verwaltungen nicht explizit eingegangen. Viele Kantone befürworten grundsätzlich eine überregionale sowie nationale Koordination.
Rechtliche Situation: Die Grundlagen sind vorhanden
Die Ratifikation der Istanbul-Konvention verpflichtet die Schweiz, sexualisierte Gewalt zu bekämpfen. Damit wären die Rechtsgrundlagen für die Bekämpfung sexualisierter Gewalt vorhanden. Artikel 25 der Konvention sieht Krisenzentren für Opfer sexualisierter Gewalt in ausreichender Zahl vor. Dadurch dass die Kantone selbst grösstenteils nicht aktiv wurden, wurde der Bundesrat nun mit der Annahme der Motion 22.3333 “Krisenzentren gegen Gewalt” beauftragt, verbindliche Standards für solche Krisenzentren zu schaffen. Westschweizer Kantone wie beispielsweise Wallis, Waadt, Genf oder Jura haben bestehende oder in Ausarbeitung betroffene kantonale Gesetze über häusliche Gewalt hin, welche zumindest Teilaspekte von sexualisierter Gewalt erfassen können, und die Koordination fördern sollen. Viele Kantone, insbesondere in der Deutschschweiz, bleiben jedoch untätig ohne direkte Verpflichtung durch den Bund und warten überkantonale Regelungen ab. Positiv hervorzuheben ist insbesondere der Kanton Wallis, welcher eine Anpassung der Rechtsgrundlagen explizit in Hinblick auf das Inkrafttreten der Istanbul-Konvention vornimmt. Dabei weist er auf die Umsetzungsmassnahmen zu den neuen Art. 94 Abs. 2 und Art. 198 Abs. revStGB hin, welche die beschuldigte Person zu Lernprogrammen bei Eingriffen in die sexuelle Integrität verpflichten kann. Artikel 16 Absatz 2 der Istanbul-Konvention verlangt die Einrichtung von solchen Programmen. Dies ist zentral, denn nur wenn solche Programme bestehen, können sie auch von kantonalen Gerichten und Staatsanwälten verordnet werden. Es wäre wünschenswert, dass die Kantone die rechtliche Umsetzung der verbindlichen Istanbul-Konvention selbst an die Hand nehmen und sich nicht mit dem Verweis auf das Warten auf überkantonale Regeln aus der Verantwortung ziehen.
Medizinischen Situation: Dringender Handlungsbedarf
Auffallend ist insbesondere die Diskrepanz zwischen kantonalen Verwaltungen und unserem Expert*innengremium bei der Einschätzung der medizinischen Versorgung von Opfern sexualisierter Gewalt. Während Ärzt*innen, Pflegefachpersonen und Forensic Nurses die Betreuung mit wenigen Ausnahmen in den Stakeholder-Gesprächen als klar mangelhaft bewerteten, führen viele kantonale Verwaltungen in ihren Antworten explizit aus, dass eine Betreuung durch die Spitäler adäquat gewährleistet sei. Die Komplexität der Betreuung wird also immer noch häufig unterschätzt, umso wichtiger ist entsprechend die Orientierung an Best Practices (Berner Modell, Modell der Romandie, Publikationen von NGOs, unser Whitepaper) auch für politische Entscheidungsträger*innen: Die Betreuung von Opfer sexualisierter Gewalt ist eine trans- und interdisziplinäre Herausforderung, wobei das Medizinische und Psychiatrisch-Psychologische im Zentrum steht. Entsprechend fundamental ist das Schaffen von klaren, überregionalen Behandlungsleitfäden, angepasst an die lokalen Unterschiede, wie wir es in unserem Whitepaper vorstellen. Aktuell gibt es diese in den Kantonen Bern, Waadt, Genf und Wallis. Hoffnungsvoll stimmt, dass nun auch die Kantone Uri, Luzern und Zürich solche Leitfäden am Ausarbeiten sind, wo entsprechende politische Motionen eingereicht wurden. Es scheint nicht an Motivation der medizinischen Fachkräfte oder dem spezialisierten Wissen in den verschiedenen Bereichen zu mangeln. Die Betreuung von Opfer sexualisierter Gewalt sollte Teil der Grundversorgung sein und nicht spezialisiertes Wissen einiger Zentrumsspitäler. Dazu braucht es eine verbesserte Ausbildung, genügend Ressourcen, Zeit und Personal, das Geld und insbesondere die Verknüpfung zwischen den Betreuungsstellen. Für eine Verbesserung der Betreuung in den kommenden Jahren wird ganz zentral sein, ob in der Ausbildung der Erstkontakte mit Opfern ausreichend thematisiert und in der Weiterbildung in psychologisches und rechtsmedizinisches Grundwissen investiert wird. Entsprechend wichtig ist es, dass die Verwaltungen die genannten Intentionen und Pläne in Aktionen und wirksame Interventionen umsetzen und die dafür nötigen Ressourcen bereitstellen. Erstaunen lassen die Reaktionen der medizinischen Fachverbände: Diese haben zwar keine ausführende, sondern eine beratende Funktion, könnten aber bei der Ausarbeitung von Best Practices für den jeweiligen Fachbereich eine zentrale Rolle übernehmen. Alle angeschriebenen Fachverbände finden das Thema sehr wichtig, aber einzig die Gesellschaft für Pädiatrie hat eigene Initiativen, um die Betreuung von Kindern und Jugendlichen bei Erfahrungen von sexueller Gewalt zu verbessern.
Übersicht zu den einzelnen Kantonen
Aargau
Der Regierungsrat hat zur Umsetzung der Istanbul Konvention in 9 Themenfelder 13 Massnahmen entwickelt im Jahre 2022. Beteiligt sind das Departement Volkswirtschaft und Inneres (DVI), die Departemente Bildung, Kultur und Sport (BKS) und Gesundheit und Soziales (DGS). Weitere Anstrengungen sind die Vernetzung der involvierten Behörden und Fachstellen im Rahmen der regierungsrätlichen Kommission Häusliche Gewalt, die rechtliche Verankerung und der Aufbau eines Bedrohungsmanagements, die Erweiterung polizeilicher Massnahmen und die Einführung von Modellen, wie z.B. die Schaffung der Anlaufstelle gegen häusliche Gewalt. Weiterhin wird in die Öffentlichkeitsarbeit und Weiterbildung investiert. (Quelle: Departement Gesundheit und Soziales)
Appenzell Ausserrhoden
Noch keine konkreten Massnahmen, es wird ein runder Tisch einberufen. Mittel/Ressourcen sind noch offen. Konkrete Massnahmen sind keine geplant. Die SKHG berichtet über eine Zusammenarbeit vom Kanton AR mit der Opferhilfe des Kantons St. Gallen. (Quelle: Amt für Soziales – Abteilung Chancengleichheit, Departement Gesundheit und Soziales)
Appenzell Innerrhoden
Noch keine konkreten Massnahmen, an einem runden Tisch werden entsprechende Themen diskutiert. Mittel/Ressourcen sind noch offen. Aktionspläne sind laut SKHG im Kanton AI keine vorhanden. Kooperationsgremien sind in Planung. Es besteht eine Kooperation mit der Opferhilfe des Kantons St. Gallen. (Quelle: Gesundheits- und Sozialdepartement)
Basel-Landschaft
Die Interventionsstelle für häusliche Gewalt verweist auf die Antwort der SKHG. Diese berichtet zum Kanton BL von einem neuen Kompetenzbereich für Sexualdelikte der Staatsanwaltschaft, die Weiterbildung zweier Mitarbeitenden des Kantonsspitals als forensic nurses sowie eine Zusammenarbeit des Spitals mit dem Institut für Rechtsmedizin. (Quelle: Finanz- und Kirchendirektion – Gleichstellung für Frauen und Männer)
Basel-Stadt
Abteilung Gewaltschutz und Opferhilfe der Justiz BS verweist auf die SKHG. Diese berichtet über einen runden Tisch im Kanton BS zum Thema sexualisierte Gewalt sowie eine kostenlose Untersuchung und Versorgung am Universitätsspital Basel. (Quelle: Justiz- und Sicherheitsdepartement)
Bern
Der Kanton ist seit vielen Jahren aktiv, namentlich im Bereich der Spurensicherung ohne polizeiliche Anzeige. Das «Berner Modell» stellt eine interdisziplinäre Versorgung von Betroffenen nach sexueller Gewalt sicher. Anlaufstellen für Betroffene sind die Frauenklinik, die Notfalldienste und die Kinderschutzgruppe des Inselspitals Bern, wo sie medizinische, psychologische und juristische Hilfe bekommen. Im Rahmen des «Berner Modells» treffen sich die involvierten Stellen quartalsweise zum Austausch. Die Kantonspolizei führt zudem interne Aus- und Weiterbildungen durch. (Quelle: Fachstelle für die Gleichstellung von Frauen und Männern sowie Kriminalabteilung der Kantonspolizei)
Freiburg
Auf mehrmaliges Nachfragen des Kantonalen Sozialamt sowie Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann und für Familienfragenkeine keine Antwort erhalten.
Genf
Bereits vor den nationalen Vorgaben hat sich der Kanton zum Ziel gesetzt, Zentren für Gewaltopfer in jeder Region bereitzustellen. Die Proaktive Zusammenarbeit erfolgt zwischen der Zivilgesellschaft, den ausführenden Stakeholdern und den kantonalen Behörden (insbesondere die Kommission für Gleichberechtigung und die Kommission für Identitätsfreiheit).Es werden Anpassungen im kantonalen Strafrecht an die nationalen Vorgaben im Juli 2023 vorgenommen. Hinweis auf die Studie zu sexuellen Aggressionen am Universitätsspital Genf, erste Resultate wurden bereits Mitte 2023 publiziert. (Quelle: Bureau de promotion de l'égalité et de prévention des violences)
Glarus
Die Koordinationsstelle Häusliche Gewalt und Gewaltprävention verweist auf die SKHG. Diese berichtet über eine kantonale Opferhilfe und das Vorhandensein eines runden Tisches im Kanton GL. (Quelle: Volkswirtschaft und Inneres, Koordinationsstelle Häusliche Gewalt und Gewaltprävention)
Graubünden
Auf mehrmaliges Nachfragen der Stabsstelle für Chancengleichheit von Frau und Mann keine Antwort erhalten.
Jura
Die Betreuung von Opfer sexualisierter Gewalt wird gewährleistet durch die jurassischen Spitäler in Zusammenarbeit mit Polizei und Justiz. Die Kommission für Gewalt organisiert Initiativen zur pluridisziplinären Kollaboration, Resultate zur besseren rechtsmedizinischen Betreuung sind in den nächsten Monaten zu erwarten. (Quelle: Déléguée à l'égalité entre femmes et hommes)
Luzern
Es konnte keine direkte Auskunft über finanzielle Ressourcen gemacht werden. Aktuell wird ein runder Tisch reaktiviert, um die Koordination rund um das neue Postulat P 739 zur Errichtung eines Krisenzentrums zu erleichtern. Dieses ist bisher noch in Planung, unser Team wurde hierzu für allfällige Inputs angefragt. (Quelle: Dienststelle Soziales und Gesellschaft)
Neuenburg
Das Département de l’emploi et de la cohésion sociale hat aktuell nicht die Ressourcen, um zu antworten.
Nidwalden
Verweis an die Opferberatungsstelle Luzern, welche eine Leistungsvereinbarung zur Opferberatung bestätigt, weitere Dienstleistungen werden verneint. Keine eigenen Initiativen, keine eigenen Fachstellen im Bereich Justiz oder Innendepartement für die Umsetzung der kommenden nationalen Vorgaben. (Quelle: Justiz- und Sicherheitsdirektion)
Obwalden
Noch keine konkreten Massnahmen erarbeitet. Die 24h Notrufnummer ist in der Zentralschweiz im Aufbau, ansonsten sind keine Ressourcen/Mittel bereitgestellt. (Quelle: Sozialamt, Sicherheits- und Sozialdepartement)
St. Gallen
Die Kantonale Koordinationsstelle Häusliche Gewalt und Menschenhandel verweist auf die Stellungnahme der SKHG. Diese berichtet über die kostenlose Erstversorgung im Kantonsspital sowie das Opferhilfeangebot und diverse Präventionsstrategien sowie die regionale Zusammenarbeit mit den Kantonen AR und AI in gewissen Bereichen. (Quelle: Koordinationsstelle Häusliche Gewalt und Menschenhandel)
Schaffhausen
Verzichten auf eine eigene Stellungnahme und verweisen auf die SKHG. Diese berichtet zum Kanton SH über eine geplante Schulung zu Zwangs- und Minderjährigenheiraten sowie ein Krisenzentrum, auf welches in der SKHG-Roadmap und unserer Nachfrage nicht näher eingegangen wurde. (Quelle: Fachstelle für Gleichstellung, Gewaltprävention und Gewaltschutz)
Schwyz
Klären aktuell ab, ob und in welchem Umfang auf die Fragen geantwortet werden kann. Bisher noch keine Stellungnahme eingetroffen. (Quelle: Amt für Gesundheit und Soziales – Opferberatungsstelle)
Solothurn
Warten die konkreten nationalen Vorgaben ab. Bezüglich bereits Geleistetem wird auf die SKHG verwiesen, sowie die bereits laufenden nationalen Projekte, in welche der Kanton SO ebenfalls involviert ist. Für sexualisierte Gewalt werden von der SKHG vor allem Präventionsmassnahmen sowie Leistungen der Opferhilfe berichtet. Ein Update zur SKHG Sitzung, bei der auch unser White Paper traktandiert wurde, ist noch ausstehend. (Quelle: Koordinationsstelle Häusliche Gewalt)
Tessin
Nebst den von der SKHG berichteten Massnahmen im Bereich Ausbildung und Datenlage sind folgende Initiativen im Gange: Die Erarbeitung eines CAS für forensic nurses an der Fachhochschule SUPSI ab Herbst 2024, die Spitalinterne rechtsmedizinische Weiterbildung der Gynäkologie und regionale Weiterbildung zum Thema häusliche Gewalt, die Umwandlung des Amtes für Forensik zum 24/7 aktiven Institut für Rechtsmedizin, die Überarbeitung des Untersuchungskoffers für sexualisierte Gewalt, sowie eine Mitarbeit in der nationalen Arbeitsgruppe für Krisenzentren. Der Kanton berichtet ausserdem über mehrere Weiterbildungskampagnen für Stakeholder und Präventionskampagnen mit Tätern und fördert Unterstützungsmassnahmen, die in erster Linie aber auf häusliche Gewalt fokussiert sind, sowie die Umsetzung einer zentralen Opferhilfe-Nummer. (Quelle: Departement für Gesundheit und Soziales – Amt für Hilfe und Schutz)
Thurgau
Verweis auf die Stellungnahme der SKHG. Diese berichtet über bestehende Beratungsangebote im Kanton TG und eine Helpline sowie die Prüfung von Massnahmen zugunsten der Zusammenarbeit und der medizinischen Versorgung. (Quelle: Departement für Justiz und Sicherheit)
Uri
Auf die Interpellation «Professionelle Hilfe bei sexualisierter Gewalt» der Landrätin Gisler im April 2023 antwortete der Regierungsrat wie folgt: Die zuständigen Polizist*innen absolvieren aktuell Weiterbildungen, eine Betreuung nur durch Frauen sei nicht immer möglich. Das Kantonsspital Uri arbeitet mit dem Institut für Rechtsmedizin Zürich zusammen, aufgrund von Versorgungsengpässen muss teilweise eine Überweisung stattfinden.
Des Weiteren klärt der Kanton Uri den Einsatz von Forensic Nurses ab. Der Regierungsrat ist derzeit am prüfen, inwiefern der Kanton Uri das „Berner Modell“ umsetzen kann. Die Zusammenarbeit der verschiedenen Behörden funktioniere sehr gut aufgrund der überschaubaren Grösse und dem proaktivem Austausch. Per 1. Juli 2024 tritt das revidierte Polizeigesetz mit der Errichtung einer Fachstelle für häusliche Gewalt in Kraft.
Der Kanton Uri würde eine nationale Strategie zur Betreuung und Öffentlichkeitsarbeit begrüssen. (Quelle: Gesundheits-, Sozial- und Umweltdirektion)
Waadt
Die Spitäler arbeiten nach einem kantonalen Betreuungsleitfaden in Zusammenarbeit mit rechtsmedizinischen Diensten. Zudem wird aktuell eine Interpellation zur pluridisziplinären Betreuung von Opfern sexualisierter Gewalt bearbeitet. (Quelle: Bureau de l’égalité entre les femmes et les hommes (BEFH))
Wallis
Eine Revision des Gesetzes zur häuslichen Gewalt ist aktuell im Gange. Hierfür zuständig ist primär die kantonale Behörde für Gleichstellung und Familien in Zusammenarbeit mit der Kantonspolizei, die Einheit für Gewaltmedizin. Die Organisation «SIPE» bietet spezialisierte Sprechstunden für Opfer sexualisierter Gewalt an. Seit 2012 gibt es einen forensisch-medizinischen Dienst im Spital Riviera-Chablais, welcher gemäss dem gemeinsamen Protokoll von HUG und CHUV arbeitet. Des Weiteren wird die Zusammenarbeit und Ausbildung forciert. Ein Programm für Täter*innen ist vorgesehen. (Quelle: Kantonales Amt für Gleichstellung und Familie)
Zug
Auf mehrmaliges Nachfragen der Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde Zug, Staatsanwaltschaft Zug keine Antwort erhalten.
Zürich
Die kantonale Opferhilfestelle erachtet die Erstellung einer schweizweiten Übersicht als wenig zielführend und verzichtet auf eine Stellungnahme. Der Kanton ist aktiv mit dem aufsuchenden Dienst «Forensic Nurses» (Zürcher Modell) seit dem 1. April. Mit der Stärkung forensischer Kompetenzen bei der Spurensicherung wird der Opferschutz bei sexueller und häuslicher Gewalt verbessert: Ohne unmittelbaren Beizug der Polizei können die Spuren des Gewaltakts für eine spätere Anzeige durch die ärztliche Person dokumentiert werden. Forensic Nurses stellen den Kontakt zu den Opferhilfe-Beratungsstellen her. Das Budget wurde bereits ausgearbeitet. (Quelle: Direktion der Justiz und des Inneren – Kantonale Opferhilfestelle)
Stellungnahmen seitens Fachgesellschaften und NGOs
Medizinische Fachgesellschaft
Die FMH und die Schweizerische Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (SGGG) begrüssen das White Paper und sehen die grössten Herausforderungen gut zusammengefasst. Die FMH betont die erschwerte Gesundheitsversorgung von Opfer sexualisierter Gewalt aufgrund der kantonalen Verantwortlichkeiten, sieht aber keinen Handlungsbedarf in Bezug auf die Umsetzung der nationalen Vorgaben. Bei der Aus- und Weiterbildung habe die FMH insofern eine proaktive Rolle, als dass die Thematik im nationalen Lernzielkatalog „PROFILES“ aufgeführt ist. Die SGGG betont, wie wichtig die Spurensicherung bei der Betreuung von unter Schock stehenden Opfer sexualisierter Gewalt ist, sie selber haben aber keinen standardisierten Massnahmenkatalog vorgesehen und verweisen auf Expert*innenwissen. Die Fachgesellschaft für Rechtsmedizin verweist auf ihre Dienste bei der Spurensicherung, welche einem roten Faden folge. Der Verband schweizerischer Assistenz- und Oberärzte nennt vor allem den Personalmangel und die Verfügbarkeit von ausgebildetem Personal als Herausforderung. Weitere angefragte Fachgesellschaften, unter anderem die Fachgesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, sowie die Fachgesellschaft für Allgemeine Innere Medizin und auch der Verband der Schweizerischen Medizinstudierenden, haben sich nicht ausführlich geäussert, vermerken aber die Relevanz des Themas. Für die Gesellschaft für Pädiatrie Schweiz ist das Whitepaper von grossem Interesse und sie betont, dass Kinder und Jugendliche immer wieder Opfer sexualisierter Gewalt werden. Es gelte, die Dunkelziffer aufzudecken und für die diverse und vielschichtige Geschichte, mit der Patienten medizinische Stellen aufsuchen, sensibilisiert zu sein. Ebenfalls erschwerend sei, dass besonders kleine Kinder sich des Unrechts nicht bewusst sind. Die Gesellschaft für Pädiatrie Schweiz appelliert an eine klare Positionsnahme durch die Öffentlichkeit zum Schutz von Minderjährigen, welche als solche besonders vulnerabel sind. Die Fachgruppe Kinderschutz sei sehr engagiert in den Schweizer Kinderkliniken und arbeite zusammen mit der Gynäkologie und Rechtsmedizin sowie mit Kinder- und Erwachsenenschutzbehörden. Grundsätzlich wird die Verantwortung für die Umsetzung bei den Kantonen gesehen. Während einige der relevanten Fachorganisationen beim Thema aktiv sind, gibt es relativ wenig Bewegung, um Leitfäden zu entwickeln für eine verbesserte und standardisierte Betreuung und Behandlung.
Juristische Fachgesellschaften
Eine ausführliche Antwort vom Waadtländischen Advokatenverein ist noch ausstehend. Weitere angefragten juristischen Fachgesellschaften nehmen das Whitepaper interessiert zur Kenntnis, sehen aber von einer ausführlichen Stellungnahme ab und verweisen darauf, dass sie lediglich eine ausführende Funktion haben. Auch eine Vorbereitung der Mitglieder auf die kommenden Veränderungen oder eine Sensibilisierung auf das Thema wird nur sehr selten genannt und wenn, dann als Intention und nicht als Plan.
Schweizerische Konferenz für Häusliche Gewalt
Die SKHG stellt eine nationale Übersicht der kantonalen Aktions- und Massnahmenplänen vom Mai 2023 auf ihrer Website zur Verfügung. Überkantonal besteht eine Projektgruppe mit dem Ziel, rechtsmedizinische Behandlung und Spurensicherung unabhängig von einem strafrechtlichen Verfahren einzuführen. Zudem erlaubt die SKHG die interkantonale Koordination und Förderung der Umsetzung von Massnahmen im Sinne der nationalen Vorgaben. Des Weiteren schlägt die SKHG der SPK des Nationalrates mit der Parlamentarischen Initiative 21.504 “Bei häuslicher Gewalt die Härtefallpraxis nach Artikel 50 AIG garantieren” die Änderung des Art. 50 AIG vor. Ziel ist, Opfern von häuslicher Gewalt, die im Familiennachzug in die Schweiz gekommen sind, im Falle einer Trennung einen Schutz vor dem Verlust der Aufenthaltsbewilligung zu geben.
Vereine und NGOs
Amnesty International und die Stiftung gegen Gewalt an Frauen und Kindern begrüssen die Übersicht und die systematische Zusammenstellung der Herausforderungen im Umgang mit Opfer sexualisierter Gewalt. Kritisiert wird von ihnen ebenfalls die fehlende Umsetzung der 2017 ratifizierten Istanbul-Konvention. Die Motion 22.3333 “Krisenzentren gegen Gewalt” von Nationalrätin Funiciello sei entsprechend wichtig. Herausforderungen die Amnesty International noch einmal unterstreicht: genügend Fachpersonal zu haben, eine systematische Aus- und Weiterbildung und eine Sensibilisierung auch im Zusammenhang mit Genderstereotypen seitens der Betreuenden. Sie betonen zudem die erhöhte Vulnerabilität von Migrant*innen, Menschen unter der Armutsgrenze und Menschen mit Behinderung. Frieda, die feministische Friedensorganisation, betont den wertvollen Einsatz der Opferhilfe-Behörden, kritisiert jedoch die limitierten Ressourcen scharf, welche die Arbeit massgeblich einschränken würde. Eine Herausforderung seien auch für die Stiftung gegen Gewalt an Frauen und Kindern die knappen Ressourcen. Die Stiftung betont auch noch einmal die Zentralität der Zusammenarbeit mit Verweis auf das „Berner Modell“ und den Ausbau des Angebots mit Flying Forensic Nurses. Um eine gute Qualität gewährleisten zu können, müssen Studien parallel durchgeführt werden. Solidarité femmes von Bern und Biel verweist auf die lange und ineffiziente juristische Verfahrensdauer sowie die Vergewaltigungsmythen, welche auch bei betreuendem Fachpersonal noch vorherrschen. Dies führt auch dazu, dass die Opfer oftmals nicht adäquat über ihre Rechte aufgeklärt würden. Solidarité femmes begrüsst die Errichtung von Krisenzentren.
Projekt Roadmap
2. Februar 2023
Kick-off Franxini Innovation Hub. Aufbau einer Projektgruppe und Festlegung des Projektsziels.
17. März 2023
Boot Camp Sprint für Franxini Hub Teilnehmende, um zu verstehen, wie das Anliegen am besten in die Politik getragen werden kann.
April und Mai 2023
Interviews mit Stakeholdern aus Forschung, Politik, Verwaltung sowie ehemaligen Opfern.
31. Mai 2023
Beitrag im Reatch Blog von Rahel Schmidt und Jan Isler: «Sexualisierte Gewalt in der Schweiz: endlich handeln»
9. Juni 2023
Storytelling Workshop für Franxini Innovation Hub Teilnehmende.
August bis Dezember 2023
Erarbeiten einer Lösung und Verfassen des Whitepapers basierend auf den Stakeholder-Interviews und dem Workshop mit verschiedenen Stakeholdern am 4. Juli.
20. Januar 2024
Interview RTS mit Rahel Schmidt: «La prise en charge des victimes de violences sexuelles reste insuffisante en Suisse»
23. Januar 2024
Publikation des Whitepapers: «Opfer sexualisierter Gewalt im Fokus: Mit dem Protokoll «KONZIL / COINVITAL» zu einer holistischen Betreuung und Begleitung von Opfern»
Februar bis April 2024
Verwantwortliche Verwaltungsstellen in den Kantonen, sowie NGOs und Fachgesellschaften werden angeschrieben, um zu erfahren, was der Stand der Massnahmen zur Gesetzesumsetzung sind und um Rückmeldung zum Whitepaper einzuholen.
Mai 2024
Veröffentlichung der schweizweiten Übersicht zum aktuellen Stand der Massnahmen auf der Projektwebseite.
08. Juni 2024
Artikel in der NZZ: «Bald tritt das neue Sexualstrafrecht in Kraft – doch bei der Opferbetreuung und der Spurensicherung hapert es»
24. Juni 2024
Versand der Medienmitteilung «Neues Sexualstrafrecht: Sind die Kantone bereit für die Umsetzung?»
24. Juni 2024
Artikel auf Watson: «Am 1. Juli gilt das neue Sexualstrafrecht – doch einige Kantone sind schlecht vorbereitet»
24. Juni 2024
Artikel im Blick: «Lücken bei Umsetzung von «Nein heisst Nein»»
24. Juni 2024
Artikel auf Swissinfo: «Einige Kantone sind schlecht auf neues Sexualstrafrecht vorbereitet»
30. Juni 2024
Artikel im Tagesanzeiger: «Männer können jetzt auch rechtlich Opfer von Vergewaltigung werden»
01. Juli 2024
Artikel im Sonntagsblick: «Neues Sexualstrafrecht tritt in Kraft. Zürich ist gut vorbereitet, Aargau weniger»
03. Juli 2024
Interview mit Leon Guggenheim mit Radio Bern: «RABE Info: «Nein heisst Nein»»
24.07.2024
Artikel auf Watson: «Neues Sexualstrafrecht seit Juli: Kleinere Kantone sind schlecht vorbereitet»
SRF Tagesgespräch mit Rahel Schmidt: «Rahel Schmidt: Neues Sexualstrafrecht»
Das Projekt-Team
Wir sind ein interdisziplinär-aufgestelltes Team aus Rechts-, Wirtschafts, Politik- und Medizinwissenschaftler*innen. Dank unserem breiten Hintergrund können wir mit Expert*innen aller involvierten Fachbereiche zusammenarbeiten, um eine politische Stossrichtung anzugehen.